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Wednesday, September 9, 2020

Flaschenpost aus der DDR - Westfalen-Blatt

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Zettel aus Scherben gerettet

„Ich bin sonntags an der Weser spazieren gegangen. Im Uferbereich am ‚Alten Fährhaus‘ habe ich die Flasche entdeckt. Der Gummistöpsel ist mir direkt ins Auge gefallen. Nur deshalb habe ich einen langen Arm gemacht und die Flasche aus dem Wasser gezogen“, erzählt der Warburger.

Die Glasflasche war aber so glitschig, dass sie Olaf Bieniosek direkt aus den Händen rutschte und zu Boden fiel. „Den Zettel konnte ich aber aus den Scherben retten“, sagt der 63-Jährige lachend. Der Inhalt des etwas nassen Schriftstückes hatte es in sich: „Der Brief war am 21. Februar 1988 geschrieben und in der damaligen DDR in die Werra geworfen worden.“

Im Internet auf Spurensuche

Zu Hause in Warburg begann die Recherche. Olaf Bieniosek suchte im Internet nach der Absenderin. Die angegebene Adresse in Thüringen führte ihn aber in eine Sackgasse. Die Suche des Namens im Umkreis brachte den Treffer. Am Telefon fragte der 63-Jährige die ihm unbekannte Juliane S., die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte: „Sind Sie 1988 in die sechste Klasse gekommen und haben damals in Mihla gewohnt?“

Die Angerufene war überrascht: „Woher wissen Sie das?“ Als Bieniosek ihr von der Flaschenpost, die er gefunden hatte, erzählte, konnte sich die heute 43-Jährige direkt erinnern: „Mit meiner Freundin Elisabeth und meinem Freund Denny habe ich immer in den Werra-Wiesen gespielt. An einer Stelle, die wir ‚Strand‘ nannten, haben wir unsere Flaschenpost in die Werra geworfen und auf Antwort aus dem Westen gehofft.“

Flasche überwindet Sperrgatter

Eigentlich hätte die Flasche die innerdeutsche Grenze niemals überqueren können. „Bis zur Grenze waren es nur circa 15 Kilometer. In Treffurt gab es ein Sperrgatter bis zum Flussgrund, damit niemand in den Westen schwimmen konnte. Auch Flaschen und Müll wurden so aus der Werra geholt“, erzählt Juliane S., die heute nur fünf Kilometer von ihrem Heimatdorf in Creuzburg-Scherbda lebt. „Eventuell ist die Flasche durch ein Hochwasser auf die westdeutsche Seite gelangt“, vermutet die Buchhalterin.

Mit der Hoffnung auf Antwort aus dem Westen hat die damals elfjährige Juliane S. den Brief 1988 verfasst, in eine Flasche gesteckt und in die Werra geworfen.

Mit der Hoffnung auf Antwort aus dem Westen hat die damals elfjährige Juliane S. den Brief 1988 verfasst, in eine Flasche gesteckt und in die Werra geworfen. Foto: Silvia Schonheim

Der Warburger Olaf Bieniosek fotografierte den 32 Jahre alten Brief ab und mailte Juliane S. das Bild: „Ich konnte kaum glauben, dass mein Brief eine so lange Zeit überstanden hat.“ Ziemlich schnell stand für die 43-Jährige fest, dass sie den Finder ihrer Flaschenpost und den Fundort besuchen wollte.

Vier Stunden Hin- und Rückfahrt

Vier Stunden Autofahrt für die Hin- und Rückfahrt nahm Juliane S. für dieses Treffen in Beverungen gerne in Kauf. Finder und Absenderin waren sich gleich sympathisch. Eine neue Flasche mit DDR-Gummistöpsel, beschriftet mit den einzelnen Städten des Flaschenweges, gab es für Olaf Bieniosek als Gastgeschenk.

Juliane S.: „Als wir 1988 die Flaschenpost abschickten, haben wir geglaubt, dass wir unsere Verwandten und Freunde im Westen niemals besuchen werden können.“ Nach dem Mauerfall 1989 sah die Welt für das junge Mädchen komplett anders aus: „Weihnachten verbrachten wir schon bei meiner Brieffreundin in Nidda in Hessen.“ Und auch dem Besuch der vier Geschwister ihrer Oma, die allesamt in Bayern lebten, stand nichts mehr im Wege.

Veränderungen seit der Wende

Seit der Wiedervereinigung habe sich vieles geändert. So gibt es mittlerweile Fahrradtourismus entlang der Werra. Das sei früher undenkbar gewesen. „Ab Mihla war das Bootfahren flussabwärts strengstens verboten“, berichtet Juliane S. aus der DDR-Zeit.

Machmal merke man den Ost-West-Unterschied noch heute. Leider zum Beispiel beim Arbeitslohn. „Aber auch wenn man die Werra, die mal auf ost-, mal auf westdeutscher Seite fließt, entlang fährt, sieht man den Unterschied an den Vorgärten“, meint die 43-Jährige. „Im Westen sind sie weniger arbeitsintensiv. Im Osten sind die Gärten einfach bunter.“




September 10, 2020 at 10:58AM
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